Mittwoch, 17. Februar 2016

Zur Kritik der deutschen Willkommenskultur

Imagepflege statt ernsthafte Hilfe

Als sich, im Sommer dieses Jahres, das Blatt von heute auf morgen wendete und Deutschland von der waffenexportierenden und kriegführenden Großmacht zum helfenden Weltpolizisten gradierte, etablierte sich in der sogenannten bürgerlichen Mitte dieser Gesellschaft eine Willkommenskultur, der eine heterogene Masse, vom studierenden Ökodeutschen bis hin zum plötzlich politisch interessiert gewordenen Rentner, folgte. Nach jahrelangem Desinteresse entstanden wöchentlich und bundesweit neue Willkommensbündnisse, deren Anhänger*innen ihre Freizeit fortan an Hauptbahnhöfen deutscher Großstädte verbrachten, wo sie ankommende Flüchtlinge mit endlosem Applaus, veganen Süßigkeiten und gut riechenden Blumen begrüßten. Es dauerte nur wenige Tage, bis sich die ersten Linken in den Mob der „Refugees Welcome“-Schreienden einreihten. Vor lauter Freude, dass sich das verhasste Dunkeldeutschland endlich ins langersehnte Helldeutschland verwandelt, vergaßen sie jedoch, aus welchem Grund antirassistisches Engagement für hilfsbedürftige Menschen plötzlich in der hiesigen Gesellschaft ein allgegenwärtiger und beliebter Trend darstellt, an dem neben SPD-Politiker*innen selbst C-Promis, denen bis dato jegliche Probleme dieser Welt egal waren, teilnahmen.
Nicht der auf Hilfe angewiesene Flüchtling, sondern das Ansehen Deutschlands in Europa und der Welt steht bei der Willkommenskultur im Vordergrund. Dieses litt unter der historischen Vergangenheit, die der Deutsche am liebsten aus den Geschichtsbüchern ausradieren würde, stark und soll nun mithilfe der gegenwärtigen Flüchtlingsproblematik zurecht gebügelt werden.
Die Flüchtlinge, die vor den herrschenden Verhältnissen in ihrer Heimat nach Europa fliehen, dienen bei diesem Versuch somit als perfekt geeignete und nützliche Objekte zur erfolgreichen Imagepflege. Von der Existenz einer sogenannten Willkommenskultur profitiert letztlich nur Deutschland – aber nicht geflüchtete Menschen, denen mit dieser angeblich geholfen werden soll.

Mut zur Realität

Der Hype, Asylsuchenden als Teil des neuen, geläuterten Deutschlands zu helfen und seine Taten prahlend auf facebook & Co. zu dokumentieren, ist seit mehr als zwei Monaten vorbei – glücklicherweise. Doch einige Anhänger*innen der Willkommsnekultur meinen es mit ihrem Engagement ernst. So werden beispielsweise immer noch Willkommensfeste veranstaltet, die realitätsignorierend versuchen, Provinznester, in denen Flüchtlinge tagtäglich rassistischen Anfeindungen ausgesetzt sind, als weltoffene Orte darzustellen.
Beim Mobilisieren setzen die Veranstalter*innen auf zynische Mottos wie "Refugees welcome" oder "XYZ ist bunt", um den Flüchtlingen zu suggerieren, dass Hilfesuchende, unabhängig von ihrer Herkunft, willkommen sind. Von der Realität, der die Flüchtlinge nach jener Veranstaltung wieder ausgesetzt sind, wollen die Organisierenden jedoch nichts wissen.
Denn die Tatsache, dass jene, die die Aufnahme von Geflüchteten befürworten, an Orten wie Heidenau oder Freital einer abzählbaren Minderheit angehören, bleibt bewusst unkommentiert.
Anstatt unnötige Willkommensfeste zu veranstalten und die deutschen Zustände einfach hinzunehmen, ist es umso sinnvoller, sich kritisch mit bestehenden Problemen auseinanderzusetzen und nach ernsthaften, praxisnahen Lösungen zu suchen. Dauerhaftes Engagement für Hilfsbedürftige sollte weiterhin zum antifaschistischen Selbstverständnis gehören – es sollte jedoch grundsätzlich, vor allem aus linker Sicht, darauf geachtet werden, wie man den Menschen hilft: nicht als Teil einer deutschen Willkommenskultur, sondern ernsthaft und kritisch.

Gastautor Leon S.